Die proximale Humerusfraktur

Konservativ vs. operativ: wann und wie?

Erschienen in „Obere Extremität 2012 ∙ 7“
Ein Artikel von S. Franke + T. Ambacher
Schulter- und Ellenbogenchirurgie, Arcus Sportklinik, Pforzheim

Die Fraktur des proximalen Humerus beim älteren Patienten resultiert meist nach einfachen Stürzen aus dem Stand im Gegensatz zum Hochrasanztrauma beim jungen Patienten. Ursächlich ist neben der Osteoporose die erhöhte Sturzneigung des älteren Patienten.
Court-Brown et al. [1] konnte eine sich verdoppelnde Inzidenz mit jeder Lebensdekade ab 40 Jahren beim weiblichen Geschlecht mit 73 % aller Frakturen in einer prospektiven Studie zur proximalen Humerusfraktur nachweisen. Jedoch wurde auch eine Verschiebung der Geschlechterverteilung zuungunsten des männlichen Geschlechts von 3,6/1 (1970) auf 2,6/1 (2002) in der Studie von Palvanen et al. [2] festgestellt. Kannus et al. [3] zeigten auf, dass bei Frauen > 80 Jahren sich die Inzidenz proximaler Humerusfrakturen nach dramatischen Anstiegen im Jahr 2007 auf einem Plateau von 298/100.000 eingependelt hat. Als ursächlich wird hier der verbesserte Gesamtzustand der Patienten mit einhergehend geringerem Sturzrisiko diskutiert.

Topographie, Klassifikation und Diagnostik

konservativ behandelte proximale Humerusfraktur
(a) Unfallaufnahme (b) radiologische Verlaufskontrolle nach 1 Woche mit Varusabkippung (c) Verlaufskontrolle nach 3 Wochen

Codman [4] nahm die Einteilung nach 4 Hauptfragmenten, nämlich der Kalotte, des Tuberculum majus und minus sowie dem Schaftfragment, vor. Zu beachten ist hierbei, dass der anatomische Hals den Übergang zwischen Tubercula und Kalotte und der chirurgische Hals infratuberkulär den Übergang zum proximalen Schaft markiert.
Ein Abriss des Tuberculum majus kann durch den Sehnenzug von M. supraspinatus, M. infraspinatus und M. teres minor zu einer  Dislokation nach kraniodorsal führen. Bei Abriss des Tuberculum minus resultiert durch den Zug des M. subscapularis eine Dislokation nach medial. Weiterhin kann die Insertion des M. pectoralis major am Humerusschaft zu einer Dislokation des Schafts nach medial führen. Gerät die lange Bizepssehne im Rahmen der Fraktur aus dem Sulcus bicipitalis, kann diese ein  Repositionshindernis darstellen.
Die A. circumflexa humeri anterior, welche vom Unterrand des M. subscapularis nach lateral verläuft und deren Endäste im Bereich des Tuberculum majus in den Kopf ziehen, sorgt überwiegend für die vaskuläre Versorgung der Kalotte. Der mediale Anteil des Kopfes wird von Anastomosen aus der A. arcuata, die aus der A. circumflexa humeri anterior hervorgeht, und der A. circumflexa humeri posterior versorgt, welche im Periost am medialen Hals verlaufen. Frakturen im anatomischen Hals mit Dislokation gefährden daher durch ihren Zug am Periost die vaskuläre Versorgung des Kopfes und gehen mit einem erhöhten Risiko einer Kopfnekrose einher [6]. In einer aktuellen Studie wurde eine Versorgung des proximalen Humerus durch die A. circumflexa humeri posterior zu 64 % gezeigt, womit die Integrität des posteromedialen Kalkars von enormer Wichtigkeit wäre [5, 12].
Auf der 4-Fragment-Einteilung von Codman beruht die Klassifikation nach Neer. Diese beinhaltet 6 Untergruppen, wobei die nicht dislozierten Frakturen (Dislokation ungeachtet der Fragmentanzahl als Onepart-fractures und als per se konservativ zu versorgende Frakturen angesehen werden. Gruppe II-V umfasst die dislozierten 2- bis 4-Fragment-Frakturen, Gruppe VI die Luxationsfrakturen [7]. Kritisiert wird hier bei den 2- bis 4-Fragment-Frakturen die fehlende Unterscheidung des Frakturverlaufs im anatomischen oder chirurgischen Hals, insbesondere hinsichtlich der Verlaufsprognose [8, 12, 13].
Des Weiteren existiert die AO-Klassifikation, die zwischen extrakapsulärer, teilweise intrakapsulärer und vollständig intrakapsulärer Fraktur unterscheidet und diese in jeweils 9 Untertypen weiter unterteilt, so dass hier 27 Typen unterscheidbar sind. Insbesondere die mangelnde  Interobserver-Reliabilität stellt einen Nachteil dieser Klassifikation dar [9, 13].
Einen weiteren Schwachpunkt sowohl der Neer- als auch der AO-Klassifikation stellt die bereits durch geringe Änderung der Rotation des Arms in der Röntgendiagnostik hervorgerufenen stark veränderbare Darstellung der Fraktur dar [10].
Die Einteilung nach Habermeyer [8] versucht die Neer- und die AO-Klassifikation zu vereinen:

  • Typ-O-Fraktur: nicht disloziert
  • Typ-A-Fraktur: Abrissfraktur der Tubercula
  • Typ-B-Fraktur: Beteiligung des chirurgischen Hals (2, 3 oder 4-Fragmente)
  • Typ-C-Fraktur: Beteiligung des anatomischen Hals (2, 3 oder 4-Fragmente)
  • Typ-X-Fraktur: Typ A, B oder C Fraktur mit vorderer oder hinterer Luxation

Hertel [9] bezieht sich in seiner ebenfalls auf der Codman-Klassifikation basierenden Einteilung auf den Frakturverlauf und nicht auf das Ausmaß der Dislokation. Hieraus entstehen 12 Einteilungsmöglichkeiten, 6 unterschiedliche 2-Fragment-Frakturen, 5 unterschiedliche 3-Fragment-Frakturen und eine 4-Fragment-Fraktur. Als Indikator einer Ischämie des Kopfes beschreibt er neben den Frakturen des anatomischen Hals zusätzlich bei einer Länge des Kalkars 2 mm ein signifikant erhöhtes Risiko für die vaskuläre Versorgung des Kopffragments.

Dies wurde 2004 im Rahmen einer prospektiven Studie bzgl. der intraoperativen Durchblutung des Humeruskopfes dargestellt [11].
Die bisher nur teilweise publizierte Resch-Klassifikation beschreibt 3 biomechanische Ebenen. In der koronaren Ebene wird die Fraktur nach Impaktion, Distraktion oder Neutralstellung unterteilt. Dann wird die Kopfinklination in Varus-, Valgus- oder Neutralstellung gegliedert. Abschließend wird der Kopf-Schaft-Winkel in der transskapularen Ebene in Flexion-, Extension- oder Neutralstellung eingeteilt [12, 13].
Majed et al. konnten 2011 in einer Studie, in der 4 erfahrene Schulterchirurgen 96 proximale Humerusfrakturen in die Klassifikationen von Neer, AO, Codman-Hertel und Resch einteilten zeigen, das die Interobserver-Reliabilität nur unzureichend ist. Die Autoren dieser Studie schließen hieraus auf den Bedarf nach neuen Klassifikationssystemen mit höherer Reliabilität [12, 13].
Neben der klinischen Untersuchung mit zwingend notwendiger Dokumentation von Durchblutung, Motorik und Sensibilität sind 2 konventionelle Röntgenaufnahmen in True-a.p. und axialer Projektion erforderlich, um keine Pathologien zu übersehen.
Bei mehrfragmentären Frakturen und allen Frakturen, die durch die konventionelle Röntgendiagnostik nicht eindeutig beurteilt werden können, empfiehlt sich ein CT mit 3-D-Rekonstruktion. […]

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Obere Extremität – Artikel: Die proximale Humerusfraktur – Ausgaben 2012 ∙ 7 (PDF)

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